Aktuell

[2017/06/19]

Memorandum: Digitalisierung und Langzeitarchivierung unseres Filmerbes

An Frau Staatsministerin Monika Grütters und an den Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestags (Juni 2017)

  • Die in Aussicht gestellten Anstrengungen zur Bewahrung unseres Filmerbes müssen in der kommenden Legislaturperiode nicht nur fortgesetzt, sondern deutlich verstärkt werden. Vor allem bitten wir die politisch Verantwortlichen, für größere Transparenz zu sorgen und ihr Konzept öffentlich zur Diskussion zu stellen!
  • Staatliche Kulturförderung ist gefragt. Eine rein betriebswirtschaftliche Sicht, wie sie das Gutachten zur „Kostenabschätzung zur digitalen Sicherung des Filmischen Erbes“ vorschlägt, greift zu kurz. Digitalisierung allein ist keine Lösung für die dauerhafte Bewahrung unserer Filme.
  • Erforderlich ist darüber hinaus ein Konzept für die Langzeitarchivierung des analogen Filmbestandes auf einem zukunftsfesten analogen Trägermaterial. Mit der Schließung der letzten analog arbeitenden Einrichtungen in Deutschland wird das Projekt zur Rettung unseres Filmerbes der Sparpolitik zum Opfer gebracht.
  • Um unsere Filmgeschichte wieder stärker öffentlich sichtbar zu machen, ist eine dauerhafte Unterstützung der Programmkinos notwendig, ebenso eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der Website filmportal.de, des zentralen Schaufensters unserer Filmkultur im Internet.
  • Zahlreiche Beispiele im Ausland belegen, dass eine verantwortungsvollere Kultur- und Filmerbe-Politik möglich ist!
  • In der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode haben die Bemühungen um die Sicherung und Zugänglichkeit unseres Filmerbes einige deutliche Fortschritte erzielt. Mit Verspätung hat auch in Deutschland in dieser Frage eine gesellschaftliche Debatte begonnen, an der sich nicht nur Filmemacher und Wissenschaftler, sondern auch ein breites, an Filmgeschichte interessiertes Publikum beteiligt. Die Bundesregierung und einige Landesregierungen haben die Erhaltung unseres Filmbestands in seiner ganzen Vielfalt als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe erkannt, die von den unterfinanzierten Filmarchiven und Kinematheken allein nicht bewältigt werden kann: Politik und Wirtschaft müssen für dieses große Projekt gleichermaßen Verantwortung übernehmen und vor allem für seine Finanzierung Sorge tragen.

    Mit einer Digitalisierungsförderung von zunächst einer Million Euro jährlich (seit 2017 zwei Millionen) hat die Staatsministerin für Kultur und Medien Prof. Monika Grütters ausgewählte Archive und Stiftungen unterstützt. Seit Juli 2015 liegt eine von der Filmförderungsanstalt in Auftrag gegebene „Kostenabschätzung zur digitalen Sicherung des Filmischen Erbes“ vor. Gestützt auf dieses Gutachten hat die Staatsministerin ein Förderkonzept ausgearbeitet, das vorsieht, dass Bund, Länder und Filmwirtschaft zu gleichen Teilen – zunächst für die kommenden zehn Jahre und in einem Gesamtumfang von 100 Millionen Euro – die Kosten für die Digitalisierung von ausgewählten Teilen des analogen Filmbestands tragen sollen.

    Dies ist die aktuelle Beschlusslage. Dem Vernehmen nach haben die Gespräche über eine Bund-Länder- Vereinbarung begonnen; über ihren Verlauf dringt leider wenig an die Öffentlichkeit. Bewusst erinnern wir in Wahlkampfzeiten an die von der jetzigen Regierung gegebenen Zusagen. Die zur Bewahrung des Filmerbes erforderlichen Schritte dürfen nicht abhängig von politischen Stimmungen und Machtverhältnissen sein. In diesem Sinne appellieren wir an die gegenwärtige Bundesregierung, insbesondere an die Staatsministerin für Kultur und Medien sowie an alle Fraktionen des Bundestags, sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein und sich dafür einzusetzen, dass auch in der kommenden Legislaturperiode die bereits beschlossenen oder in Aussicht gestellten Anstrengungen zur Bewahrung unserer Filmgeschichte nicht nur fortgesetzt, sondern noch deutlich verstärkt werden.

    Denn nach wie vor sind erhebliche Defizite festzuhalten. Es wurde bisher kein umfassendes Konzept für die Digitalisierung und Langzeitarchivierung unseres Filmerbes veröffentlicht. Die entsprechenden Beratungen auf den verschiedenen politischen Ebenen ermangeln jeglicher Transparenz. Viele Fragen wurden bisher nicht beantwortet. Zum Beispiel: Aus welchen Gründen werden nur ausgewählte Archive und Stiftungen bedacht? Welche Gremien bzw. Personen haben dies nach welchen Kriterien entschieden? Frau Staatsministerin – sorgen Sie bitte für eine größere Transparenz und stellen Sie Ihr Konzept der öffentlichen Diskussion!

    Des weiteren werden die politisch Verantwortlichen dem Förderungsbedarf im Bereich der Verbreitung unserer Filme bisher nicht gerecht. Die Digitaltechnik ermöglicht einen schnelleren und vielfältigeren Zugang auch zur deutschen Filmgeschichte. Um ihre Möglichkeiten wirkungsvoll zu nutzen, bedarf vor allem die Website filmportal.de, als zentrales Schaufenster unserer Filmkultur im Internet, einer wesentlich stärkeren Unterstützung von politischer Seite. Hier müssen wissenschaftliche Recherche, Datenpflege und technische Umsetzung finanziell und personell besser ausgestattet werden. Schließlich: Wenn die deutsche Filmproduktion des 20. Jahrhunderts nicht unsichtbar werden soll, verlangt auch der Kinobereich deutlich mehr Aufmerksamkeit als bisher. Die Zahl der Programmkinos und kommunalen Spielstätten, die sich fast allein den Zeugnissen unserer Filmgeschichte widmen, ist in den letzten Jahr zurückgegangen. Mehr noch: Auch ihre Programmgestaltung hat sich zu ungunsten filmgeschichtlicher Werke verändert. Die Einrichtung von Archivkinos, die ausschließlich die deutsche Filmgeschichte im Repertoire pflegen, ist daher ein Gebot der Stunde. Frau Staatsministerin – um unsere Filmgeschichte wieder stärker öffentlich sichtbar zu machen, ist staatliche Kulturförderung im besten Sinne gefordert!

    Mit der Digitalisierung ist die Aufgabe einer dauerhaften Bewahrung der Filme keineswegs gelöst. Vielmehr ist unbedingt ein Konzept für die Langzeitarchivierung des analogen Filmbestandes auf einem zukunftsfesten analogen Trägermaterial erforderlich. Die Filme der analogen Ära müssen – nicht anders als die Zeugnisse unserer Literatur und bildenden Kunst wie Bücher, Gemälde, Grafiken und Urkunden – auch als Ausgangsmaterial für die sich jeweils rasant verändernden digitalen Standards aufbewahrt werden. Mit Empörung reagierten alle Filmerbeeinrichtungen auf den Vorschlag des erwähnten Gutachtens, „aus Kostengrunden“ parallel zur Digitalisierung „nur eine sehr selektive analoge Archivierung zu erwägen.“ Leider hat diese Empfehlung auch Eingang in das Förderkonzept der BKM zur Digitalisierung des Filmerbes vom 24. Januar 2017 gefunden. Frau Staatsministerin – streichen Sie bitte diesen Vorschlag: Er wäre ein Aufruf zur Vernichtung des Filmerbes!

    Folgten unsere Archive und Kinematheken dieser „betriebswirtschaftlichen Sicht“, würden sie die digitalisierten Filme dem Risiko des Datenverlusts und der schnellen Überalterung von Dateiformaten ausliefern und damit die Bewahrung unseres gesamten filmischen Erbes aufs Spiel setzen. Langzeitmodelle zur sicheren Speicherung digitaler Daten existieren noch nicht; namhafte internationale Experten halten Digitalisate für eine dauerhafte Sicherung der auf ihnen gespeicherten Inhalte für ungeeignet. Leider hat das Bundesarchiv mit der geplanten Schließung seiner Kopierwerke diesen riskanten Weg bereits beschritten und will unter dem Druck ökonomischer Zwänge vollendete Tatsachen schaffen, bevor vom Kinematheksverbund eine Gesamtstrategie für die Sicherung des Filmerbes erarbeitet wurde. Mit der Schließung einer der letzten analog arbeitenden Einrichtungen in Deutschland ist zu befürchten, dass das Projekt zur Rettung des deutschen Filmerbes der Sparpolitik zum Opfer fällt. Frau Staatsministerin – statten Sie das Bundesarchiv mit den nötigen finanziellen Mitteln aus, damit das analoge Kopierwerk und die entsprechende Infrastruktur weiter betrieben und die bewährte Sicherungsarchitektur beibehalten werden können!

    Zahlreiche Beispiele im Ausland belegen, dass eine verantwortungsvollere Kultur- und Filmerbe-Politik möglich ist. In Schweden hat der Staat das letzte privatwirtschaftlich betriebene Kopierwerk erworben und dafür gesorgt, dass es unter dem Dach des nationalen Filmarchivs weiter betrieben werden kann. Das Filmarchiv Austria und das Österreichische Filmmuseum haben mit Unterstützung des Bundeskanzleramts das Konzept „Vision und Mission für das österreichische Filmerbe“ erarbeitet, das auf einer Archivierung in einem „zeitstabilen analogen Format“ besteht. In Frankreich – einem Land, das seit Jahren weitaus höhere Summen in die Digitalisierung seiner Filme investiert als Deutschland – ist nicht nur die Archivierung des historischen Filmbestands, sondern auch die Ausbelichtung aller neuen, digital gedrehten Filme auf analogem Material gesetzlich vorgeschrieben.

    Die Zukunft gehört der Digitalisierung – in allen Bereichen der Film- und Medienindustrie. Bund, Länder und Medienwirtschaft müssen ihre Anstrengungen zur Rettung unseres Filmerbes erheblich verstärken. Die „Jahrhundertaufgabe“ der Sicherung und Zugänglichkeit des Filmerbes ist umfassender als die Digitalisierung ausgewählter Filme. Sie beinhaltet die gleichwertige Pflege sowohl des analogen als auch des digitalen Materials und erfordert deutliche Anstrengungen, um den Zugang zum Filmerbe im Kino und im Internet zu verbessern. Teilhabe an den filmkulturellen Leistungen der Vergangenheit sollte oberstes Ziel verantwortungsvoller Politik sein. Das Kulturgut des bewegten Bildes muss erhalten bleiben und darf nicht den Risiken und Unwägbarkeiten schnell wechselnder Technologien ausgeliefert werden.

    Unterstützt von: Mario Adorf, Schauspieler; Andreas Dresen, Filmregisseur; Eberhard Junkersdorf, Filmproduzent und Ehrenpräsident der Filmförderungsanstalt; Romuald Karmakar, Filmregisseur; Franz Kraus, Geschäftsführer der Firma ARRI München; Jeanine Meerapfel, Filmregisseurin; Edgar Reitz, Filmregisseur; Volker Schlöndorff, Filmregisseur; Andres Veiel, Filmregisseur.

    Memorandum als PDF

    Weitere Unterzeichner: Claudia von Alemann / Jens Alpermann / Dr. Dirk Alt / Axel Arft / Sebastian Armbrust / Dr. Helmut G. Asper / Prof. Dr. Martin Aust / Tanino Bellanca / Prof. Hans Beller / Prof. Tim Bergfelder / Dr. Philipp Blum / Prof. Dr. Christine N. Brinckmann / Prof. Jutta Brückner / Dr. Dagmar Brunow / Christoph Classen / Markus Dahl / Dr. Pascale Anja Dannenberg / Hans-Günther Dicks / Katharina Dockhorn / Anja Ellenberger / Prof. Dr. Barbara Flueckiger / Gunter Friedrich / Michael Girke / Alexandra Gramatke / Magda Greßmann / Prof. Dr. Norbert Grob / Thomas Groh / Katharina Günther / Frank-Burkhard Habel / Prof. Dr. Malte Hagener / Prof. Dr. Britta Hartmann / Prof. Dr. Vinzenz Hediger / Jan Henselder / Konrad Hirsch / Wolfgang Höfer / Paul Hofmann / Dr. Jan-Christopher Horak / Alexander Horwath / Christoph Hübner / Frédéric Jaeger / Hannes Karnick / Prof. Dr. Frank Kessler / Prof. Dr. Gertrud Koch / Stefanie Köhler / Olaf Koppe / Prof. em. Dr. Helmut Korte / Peter Körte / Daniel Kothenschulte / Dr. Michael Kötz / Prof. Martin Kreyßig / Michael Krüger / Daniel Kulle / Prof. Dietrich Leder / Erik Lemke / Prof. Dr. Sabine Lenk / Andreas Lewin / PD Dr. Petra Löffler / Juliane Maria Lorenz / Frank Messerschmidt / Angelika Müller / Dr. Tobias Nagl / Sandra Naumann / Dore O. Nekes / Peter Nestler / Hanna Nordholt / Julia M. Novak / Dr. Kai Nowak / Erica Özkan / Dr. Anne Paech / Prof. Dr. Joachim Paech / Prof. Dr. Ingo Petzke / Prof. Rotraut Pape / Luca Pisciotta / Claudia Reiche / Dieter Reifarth / Stefan Röske / Helke Sander / Jutta Schäfer / Rosemarie Schatter / Prof. Dr. Irmbert Schenk / Ulrike Schirm / Dr. Oliver Schmidt / Prof. Dr. Bernd Schmidt / Sonja M. Schultz / Wolfram Schütte / Prof. Dr. Karl Sierek / Linda Söffker / Karla Sonntag / Dr. Philipp Stiasny / Fritz Steingrobe / Matthias Steinle / Nicola Steller / Peter Stettner / Prof. Dr. Bernd Stiegler / Prof. Dr. Marcus Stiglegger / Christoph Terhechte / Dr. Jens Thiel / Reinold E. Thiel / Thomas Tode / Michael Töteberg / Hans-Gunter Voigt / Thomas Volkmann / Prof. Dr. Chris Wahl / Prof. Dr. Thomas Weber / Claudia Willke / Prof. Dr. Hans J. Wulff / Verband der deutschen Filmkritik e.V., Vorstand und Beirat

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