Kommentar der Initiative "Filmerbe in Gefahr"
...zur Ankündigung von Björn Böhning, Chef der Berliner Senatskanzlei, als erstes Bundesland eigenständige Mittel zur Sicherung des Filmerbes bereitzustellen (22.7.2015), der Veröffentlichung des Gutachten zur „Kostenabschätzung zur digitalen Sicherung des Filmischen Erbes“ durch die Filmförderungsanstalt und zur Erklärung der Kulturstaatsministerin Monika Grütters (29.7.2015).
3.8.2015. – In die Bemühungen, unser filmisches Erbe für das digitale Zeitalter zu sichern, ist Bewegung gekommen. Die Zeit der Lippenbekenntnisse scheint vorbei, es liegt eine Zahl auf dem Tisch: 10 Mio. Euro über einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren seien allein für die Digitalisierung ausgewählter Filme erforderlich – so das Gutachten der Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers. Das ist eine seriöse, sozusagen seriös geschätzte Zahl. Das Gutachten hat die von der Kanzlerin beauftragte Staatsministerin für Kultur und Medien angeregt und wurde von der Filmförderungsanstalt (FFA) in Auftrag gegeben. Es bildet, wie Monika Grütters sagt, "eine hilfreiche Diskussionsgrundlage". Und die Zahl 10 Mio. bildet einen Richtwert, mit dem sich arbeiten lässt. Sie ist eine Mindestgröße, die mit dem Fortschreiten der Arbeit genauer (und gewiss nicht kleiner) werden wird.
Doch es wird nicht nur über Geld gesprochen. Von einem "Schatz kulturhistorischer Zeitzeugnisse" ist jetzt die Rede, nicht mehr allein von den Spitzenleistungen des deutschen Films und den kommerziellen Erfolgen. Erstmals wird von höchster Stelle der Dokumentarfilm genannt, in dem sich ja auch unsere Kultur- und Gesellschaftsgeschichte, Politik und Alltag ablagern, unser historisches Gedächtnis aufbewahrt ist. Für die Sicherung dieses Kulturgutes tragen Bund, Länder und die Filmbranche "eine gemeinsame Verantwortung", so die Ministerin. Sie ruft zu einer "konzertierten Aktion" auf, die nicht nur der finanziellen Herausforderung, sondern auch den strategischen Aufgaben gerecht werden muss. Gemeint sind damit: Organisationsstrukturen, eine sinnvolle Mittelverteilung, konzeptionelles Denken – und ein Denken in kooperativen Strukturen.
Ein gutes Beispiel für dieses kooperative Denken liefert jetzt das Land Berlin, das – so eine Ankündigung des Chefs der Berliner Senatskanzlei, Björn Böhning – als erstes Bundesland eigenständige Mittel zur Sicherung des Filmerbes bereitstellen will, für 2016 und 2017 jeweils 250.000 Euro. Ein entschlossenes politisches Signal dafür, dass die konzertierte Aktion von Bund, Ländern und Branche gelingen kann, gelingen muss. Aber Böhning verweist auch auf offene Fragen: „Wohin genau soll das Geld für dieses Erbe fließen; auf welche Art und Weise soll das Geld fließen; wie ist die Struktur der Prioritätensetzung – also wer entscheidet, was wann wo gerettet wird?“
Damit ist eine konzertierte Aktion der Filmarchive gefragt. Sie sind jetzt gefordert, gemeinsame Konzepte und Strategien zu entwickeln, einen gemeinsamen Zeitplan aufzustellen, gemeinsame Prioritäten zu setzen und an die großen personellen, administrativen und technischen Aufgaben gemeinsam heranzugehen. Allein die Sachlogik drängt die Kinematheken und ihren Verbund in die Rolle der Avantgarde: Wo wären die erforderlichen Fachkenntnisse, das historische Wissen, das technische Know-how versammelt, wenn nicht hier? Nur: die Archive müssen diese Rolle auch akzeptieren! Schon heute stehen sie, bedingt durch die technischen Umbrüche, vor der Aufgabe, ihre Institute personell erheblich zu erweitern und grundlegend umzubauen – eine Aufgabe, die ohne entsprechende finanzielle Unterstützung durch Bund und Länder nicht zu lösen sein wird.
Zusätzliche, bisher nicht berücksichtigte Kosten werden hinzukommen. Obwohl die Digitalisierung einen Schwerpunkt bildet, sind die langfristige Aufbewahrung und Pflege analogen Filmmaterials auf dem jeweils verfügbaren besten Material unumgänglich. Es gilt, den Bestand anderer, nicht im Kinematheksverbund zusammengefasster, auch kleinerer, teilweise privater Archive zu berücksichtigen. Die Erhaltung unseres Filmerbes benötigt die kontinuierliche und dauerhaft gesicherte Arbeit an einem Bestandskatalog. Und schließlich: Unsere Filmgeschichte muss – nach Klärung der Rechtsfragen im Einzelfall – in einem viel größeren, internationalen Maßstäben entsprechenden Umfang im Internet jedermann zugänglich gemacht werden.
Klaus Kreimeier, Jeanpaul Goergen
Permalink: filmerbe.org/ref/?100,178